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Eine faire Allianz

23.02.2021, Lesezeit 6 Minuten
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Warum die TIWAG beim Kraftwerksprojekt Kühtai auf das innovative Allianzmodell setzt und wie das Vergabeverfahren zum Erfolg geführt wurde.

Eine Bietergemeinschaft unter mehrheitlicher Beteiligung von SWIETELSKY erhielt kürzlich den Zuschlag für das Pumpspeicherkraftwerk Kühtai. Das Hauptbaulos hat ein Auftragsvolumen von rund 425 Millionen Euro. Bei dem derart bedeutenden Infrastrukturvorhaben des Tiroler Energieversorgers TIWAG handelt es sich um eine Erweiterung der bestehenden Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz. Eine österreichweite Premiere bei einem Projekt dieser Größenordnung ist die Ausschreibung und Vertragsabwicklung eines alternativen Bauvertrags. Wie es dazu kam, welche konkreten Erfahrungen der Vergabeprozess hervorgebracht hat und was man sich langfristig davon erwartet, soll hier analysiert werden. Vorerst aber zum Projekt und den Baumaßnahmen.

Mit dem neuen Pumpspeicherkraftwerk Kühtai 2 und dem neuen Speichersee Kühtai soll saubere Energie zeitlich flexibel erzeugt und Strom aus anderen erneuerbaren Energiequellen zwischengespeichert werden können. Mit zusätzlichem Wasser aus dem Ötztal und Stubaital wird die Erzeugung von Strom aus natürlichem Zufluss in der erweiterten Kraftwerksgruppe um rund die Hälfte gesteigert. Zudem soll sich auch der Gesamtwirkungsgrad der bestehenden Kraftwerksgruppe verbessern. Aufgrund der enormen Fallhöhe zwischen dem neuen Speicher Kühtai und dem bestehenden Kraftwerk Silz im Inntal von 1465 Metern wird mit vergleichsweise wenig Wasser viel Strom erzeugt werden können.

Die Baumaßnahmen

Der neue Speichersee und das neue Pumpspeicherkraftwerk sind im hinteren Längental auf über 2000 Metern Meereshöhe vorgesehen. Der Speicher Kühtai wird ein nutzbares Volumen von circa 31 Millionen Kubikmetern haben und damit rund halb so groß wie der bestehende Speicher Finstertal sein. Der Staudamm wird als Steinschüttdamm mit einer zentral liegenden Erdkerndichtung errichtet werden und eine Höhe von 113 Metern (vom ursprünglichen Talboden bis zur Dammkrone) aufweisen. Das gesamte Material für den Steinschüttdamm soll vor Ort aus dem künftigen Speicherraum oder aus anfallendem Tunnelausbruchsmaterial gewonnen werden. Die luftseitige Dammoberfläche soll mit Natursteinen und Strukturelementen so gestaltet werden, dass sich das Bauwerk bestmöglich in die umgebende Landschaft einfügt.

Das Kraftwerk Kühtai 2 mit dem zugehörigen Triebwasserweg – ein Stollen mit einem Durchmesser von rund fünf Metern – wird den neuen Speicher Kühtai und den bestehenden Speicher Finstertal verbinden. Vollkommen unterirdisch in einer Felskaverne ist es für den Pumpspeicherbetrieb konzipiert. Das Herz des Kraftwerks werden die beiden reversiblen Pumpturbinen sein – in ihrer Funktion und in der Drehrichtung umkehrbar. Im Turbinenbetrieb fließt Wasser mit bis zu neunzig Kubikmetern pro Sekunde vom Speicher Finstertal zum Speicher Kühtai, wobei die Turbine den Generator antreibt, der Strom ins Netz abgibt. Im Pumpbetrieb wird der Generator zum Motor, der Strom aus dem Netz aufnimmt, während die von ihm angetriebene Turbine nun als Pumpe wirkt und Wasser vom Speicher Kühtai in den Speicher Finstertal hinauffördert. So will man Wasser zur späteren Stromerzeugung speichern – wie bei einem Akku, jedoch in viel größeren Mengen.

Zusammenfassend beinhalten die Baumaßnahmen die Beileitung mehrerer Bäche aus dem hinteren Stubaital und mittleren Ötztal, die Errichtung des Speichers Kühtai im hinteren Längental und den Bau des unterirdischen Pumpspeicherkraftwerks „Kraftwerk Kühtai 2“ zwischen neuem Speicher Kühtai und dem bestehenden Speicher Finstertal. Der operative Baubeginn ist für April 2021 vorgesehen und die Arbeiten werden circa fünf Jahre in Anspruch nehmen.

Das Allianzmodell

Das Großprojekt wird als „Allianzmodell“ abgewickelt, das im Unterschied zu den klassischen österreichischen Bauverträgen einige Besonderheiten aufweist. Das beginnt bereits mit der Organisationsstruktur. Es wurde eine gemeinsame hierarchische Struktur nach dem Vorbild eines Unternehmens gebildet (Allianzvorstand, Allianzmanagement, Allianzprojektteam). Die Vergütung erfolgt über ein Cost-Plus-Fee-Modell und eine Bonus-Malus-Regelung. Risiken wurden in drei Sphären aufgeteilt, jene des Auftragnehmers, jene des Auftraggebers und eine gemeinsame Risikosphäre, die den überwiegenden Teil beinhaltet. Zudem wurde ein mehrstufiger Konfliktlösungsprozess – mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Problemlösung am Entstehungsort – exakt definiert. Dazu SWIETELSKY-Vorstandsvorsitzender Karl Weidlinger: „Man betrachtet beiderseits ein Projekt nicht als Auftrag, sondern als gemeinsame Unternehmung auf Zeit und erwartet sich eine für beide Partner faire Realisierung im Sinne des Gesamtprojektes. Claim Management sowie langwierige juristische Auseinandersetzungen sollen damit der Vergangenheit angehören.“

Ähnlich sieht das auch Clemens Niedermayr, der als Teilprojektleiter der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) für die Beschaffung von Bauleistungen und baunahen Dienstleistungen sowie deren Vertragsabwicklungen zuständig ist: „Wir hatten bei konventionellen Bauverträgen in der Vergangenheit einen hohen Personalaufwand zur Beilegung von Vertragsstreitigkeiten. Beim Gemeinschaftskraftwerk Inn haben wir erste positive Erfahrungen mit dem Allianzvertrag gesammelt und auch Weiterentwicklungen schlussfolgern können. Das Projekt Kühtai eignet sich aus mehreren Gründen ideal für ein solches Modell. Es ist eine Höhenbaustelle mit Naturgefahren sowie einem hohen Untertagebauanteil mit verschiedenen Vortriebsmethoden. Zudem braucht es die Beistellung des Materials für den Dammbau und die Betonherstellung. Aus diesen und weiteren Gründen handelt es sich um ein sehr komplexes Projekt.“

Im Zuge des Vergabeverfahrens mussten mögliche Bieter bereits in der ersten Stufe Mindestanforderungen entsprechen. Es formten sich Bietergemeinschaften aus zwei bis vier Unternehmen. Schließlich wurden in der zweiten Stufe Ausschreibungsunterlagen laut ÖNORM und Allianz an die präqualifizierten Bietergemeinschaften versendet, dies verbunden mit der Aufforderung zur Legung eines ÖNORM-Angebots und parallel dazu verpflichtend eines Allianzangebots. Die Bestbieterermittlung für beide Angebote erfolgte mit Hilfe eines gewichteten Preises, das bedeutet eine Reduktion des An Angebotspreises je nach Höhe der Qualität. Für die Bearbeitung des Angebots und die Beantwortung von 328 Fragen stand eine Frist von fünf Monaten zur Verfügung. Für die Angebotsprüfung wurden neun Qualitätskriterien (Q1 bis Q9) festgelegt. Die ersten acht wurden ohne Wissen des Preises bewertet, Q9 – also die Preisgestaltung – erst zuletzt nach Öffnung des wirtschaftlichen Angebots. Zwei Qualitätskriterien, nämlich jene für die „Softskills“, wurden durch externe Dienstleister geprüft und bewertet, alle übrigen kommissionell. Schließlich wurden in einem aufwändigen Verfahren die fiktiven Abrechnungssummen für Einheitspreis- und Allianzvertrag verglichen. Dazu Clemens Niedermayr: „Die finale Angebotsprüfung ergab aus bauwirtschaftlicher Sicht eine Eignung des Allianzmodells. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit und auf Basis rein kalkulatorischer Vergleiche stellte es sich günstiger als ein Einheitspreisvertrag dar.“ Nach der Auswahl eines sogenannten „Preferred Bidder“ kam es noch zu insgesamt drei Allianzverhandlungen bis zum Vertragsabschluss am 14. Oktober 2020.

Von der Bekanntmachung im Mai 2019 bis zum Vertragsabschluss vergingen somit siebzehn Monate. Das bedeutet einen entsprechend hohen Personalaufwand sowohl ausschreiber- als auch anbieterseitig. Die längere Verfahrensdauer liegt vorwiegend an zusätzlichen allianzspezifischen Qualitätskriterien. Bei der TIWAG sieht man den Aufwand aufgrund der Größe des Projektes als gerechtfertigt an. Auf Seiten des Auftragnehmers SWIETELSKY freut man sich über die Verhandlungen auf Augenhöhe sowie die Berücksichtigung und Wertung von sogenannten Soft Skills, also Qualitätskriterien abseits des Preises. „Die Kompetenz und Erfahrung unseres Unternehmens und seiner Schlüsselkräfte wird am Ende auch den Ausschlag geben, dass dieses Projekt für den Auftraggeber nachhaltig kosteneffizient realisiert werden kann“, betont Johann Keil als Geschäftsführer der führend beteiligten Tunnelbausparte von SWIETELSKY. 

 

 Mag. Clemens Kukacka

Redaktion

Mag. Clemens Kukacka

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