Swietelsky AG
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In dünner Luft vor steilem Abgrund

23.02.2021, Lesezeit 4 Minuten
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Spezialtiefbauer der SWIETELSKY-Tochtergesellschaft HTB errichten Anlagen zum Schutz vor Naturgefahren und sind dabei selbst so einigen ausgesetzt.

Das Kühtai ist ein Wintersportort und gehört zur Gemeinde Silz im Bezirk Imst. Hier beabsichtigt die TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG ein neues Pumpspeicherkraftwerk samt Speichersee und Beileitungsstollen zu errichten. Wie an anderer Stelle dieser Zeitungsausgabe nachzulesen ist, erhielt kürzlich eine Bietergemeinschaft mit führender Beteiligung von SWIETELSKY den Zuschlag für das Hauptbaulos. Auf rund 425 Millionen Euro netto beläuft sich das Auftragsvolumen. Bevor dieses kolossale Projekt überhaupt erst in Angriff genommen werden kann, sind Maßnahmen zur Absicherung der Bautrupps gegen Naturgefahren in dem gebirgigen Gelände nötig. Die sind nicht minder spektakulär, insbesondere wegen der Unwägbarkeiten und Gefahren, die es dabei zu überwinden gilt.

Gefragt sind einmal mehr die Spezialisten der HTB Baugesellschaft aus Arzl in Tirol. Um circa zehn Millionen Euro sollen etwa dreißig handverlesene Experten für Spezialtiefbau rund vier Kilometer lange Steinschlagnetze und einundzwanzig Stück Fundamente für Lawinensprengmasten entlang der steilen Felswände des Hochgebirges montieren. Ihre Aufgabe ist es, das Gelände mit einer Ausdehnung von zweieinhalb Kilometern in der Länge für die umfangreichen Erdbauarbeiten zur Errichtung des Speichersees aufzubereiten und abzusichern. Über die Masten sollen Schneemengen kontrolliert und ferngesteuert gesprengt werden können, die Netze sollen Geröllabstürze und Hangrutschungen verhindern. Dafür müssen sie tief im Boden beziehungsweise im Fels verankert sein. Ende September hat unser Reportage-Team in Begleitung von Sicherheitsfachkraft Bruno Wyhs eine der letzten Gelegenheiten vor Wintereinbruch genützt, um die Arbeiten aus der Nähe zu beobachten. Dankenswerterweise wurden wir wie die Bautrupps mit dem Helikopter eingeflogen und genossen den atemberaubenden Ausblick auf die alpine Landschaft.

Pünktlich um 7:15 Uhr morgens hebt unser Helikopter vom Stützpunkt der Firma Heli Tirol ab. Regelmäßig werden von hier aus Transportflüge von Mannschaften und Material durchgeführt. Für uns ein neues unvergessliches Erlebnis, für die Bauarbeiter der HTB reine Routine. Der Hubschrauber ist ihr Dienstfahrzeug, das sie samt Ausrüstung auf jede noch so steile und abgelegene Felswand hievt. Wo Lawinensprengmasten und Sicherungsnetze montiert werden müssen, das kann sich nämlich ausschließlich nach der berechneten geologischen Gefahrenlage bei den örtlichen Geländeverhältnissen richten.

Was sich nach tollkühnem Wagemut anhört, ist natürlich vielmehr erlernte und regelmäßig aufgefrischte Kompetenz, abgesichert mit Ausrüstung auf dem neuesten Stand der Technik. Dazu hören wir später noch mehr. Vorerst fallen uns Skigondeln im Gelände auf. Sie wirken an diesen Stellen so deplatziert, als wären sie vom Himmel gefallen und in der Felswand stecken geblieben. Tatsächlich wurden sie fachmännisch montiert und dienen den Arbeitern als Rückzugsorte bei plötzlich eintretenden Unwettern und Blitzschlag. Alle Mannschaften sind auch mit einem Satellitentelefon ausgestattet, um bei schlechtem Handyempfang rasch die Koordinaten einer Unglücksstelle durchgeben zu können, erklärt uns Techniker Mathias Schuler (33), bevor er uns den Bauleiter Alexander Gstrein (30) und den Polier Martin Larcher (51) vorstellt.

Wir kommen ins Gespräch und fragen Polier Larcher, welche Art von Unfällen er in seinen 28 Dienstjahren am häufigsten erlebt hat. „Gegen schwere Unfälle sind wir dank intensiver Ausbildung, regelmäßiger Schulungen und persönlicher Sicherheitsausrüstung (PSA) gut abgesichert. So etwas passiert Gott sei Dank sehr selten. In diesem unwägbaren Gelände kommt es aber immer wieder mal zu ärgerlichen Knöchel- und Beinverletzungen.“ Alle Arbeiter seien natürlich angeseilt, trügen Schuhwerk für Extrembergsteiger und verfügten über einen speziellen Helm mit Vollvisier, Schockabsorber, integriertem Gehörschutz und Schutzbrille, ergänzt Bauleiter Alexander Gstrein. Insgesamt habe die persönliche Schutzausrüstung einen Wert von jeweils 1500 bis 2000 Euro. Dennoch sei nicht jeder für diese Arbeit geeignet. Vorwiegend seien es Menschen, die nicht nur einen besonderen Bezug zur bergigen Landschaft hätten, sondern auch körperliche Beanspruchung seit Kindheitstagen gewöhnt seien. Viele kämen aus der Landwirtschaft, so wie Techniker Mathias Schuler, der nach wie vor im Nebenerwerb Landwirt sei.

Zurück in Arzl, treffen wir den Lageristen Wilhelm Melmer am Hauptsitz der HTB Baugesellschaft. Er ist für die Wartung, Prüfung und Instandhaltung der persönlichen Schutzausrüstung zuständig und trägt damit große Verantwortung für seine Kollegen. „Meine Aufgabe ist es, das augenscheinlich defekte Material und – was noch viel mehr Sorgfalt erfordert – das unsichtbar defekte Material auszusondern und zu ersetzen.“ Melmer weiß mit seiner langjährigen Erfahrung ganz genau, wo sich Materialfehler verbergen können. Alle Seile, Karabiner, Helme und vieles mehr sind über Materialnummern eindeutig Personen zugeordnet und werden jährlich überprüft. „In einem Unglücksfall muss selbstverständlich über die ordnungsgemäße Wartung der Ausrüstung, über Schulungen des Personals und regelmäßige Auffrischungen der Inhalte Rechenschaft abgelegt werden“, betont Mathias Schuler, der bei der HTB auch organisatorisch für das Schulungswesen zuständig ist.

Dieses Aus- und Weiterbildungssystem besteht aus einer Vielfalt von Kursinhalten. Praktisch den ganzen Februar über finden Präsenzveranstaltungen mit internen und externen Experten statt. Es geht um arbeitsmedizinische Inhalte, allgemein sicherheitsrelevante Themen bis hin zu sehr speziellen Fachgebieten wie beispielsweise Sprengungen, Forstarbeiten oder das sichere Verhalten bei Helikopterflügen. Auch Seilkurse gegen Absturz werden angeboten. Neue Mitarbeiter starten mit einem Grundkurs, jährlich folgen Auffrischungskurse. Nach Bedarf werden spezielle Führerscheinkurse, Kranscheine, Bohr- und Injektionsschulungen und vieles mehr angeboten. Bereits im Herbst des Vorjahres wird an die Poliere appelliert, ihre neuesten Erfahrungen einzubringen und Vorschläge für Schulungsthemen abzugeben. „Wir handeln in enger Abstimmung mit eigenen und externen Experten sowie den Behörden zur Gewährleistung der höchsten Sicherheitsstandards. Das sind wir unseren Kollegen schuldig“, betont Bruno Wyhs in dreifacher Funktion, denn er ist sowohl Sicherheitsfachkraft wie auch Angestelltenbetriebsrat und Aufsichtsrat der Swietelsky AG.

 Mag. Clemens Kukacka

Redaktion

Mag. Clemens Kukacka

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