Swietelsky AG
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„Mehr Europa im Bahnverkehr!"

17.06.2021, Lesezeit 6 Minuten
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Peter Gal, Vorstand und oberster Bahnbauer der Swietelsky AG, spricht im Interview Klartext über die Herausforderungen im internationalen Schienennetz und über die Klimawende.

Peter Gal ist als Vorstand der Swietelsky AG insbesondere für eine Bauleistung von rund 570 Millionen Euro in der Sparte Bahnbau verantwortlich. Vorgezeichnet war ihm dieser Karriereweg nicht gerade. Als junger Mann jobbte er in der Gastronomie als Barkeeper und Kellner, später entdeckte er sein Talent für Zahlen und schlug eine Karriere als Baukaufmann ein. Im Zuge einer kleinen Migrationswelle aus der STRABAG rund um den Jahrtausendwechsel landete er im Bahnbau von SWIETELSKY. Dort konnte man sich damals einen Kaufmann anstatt eines Diplomingenieurs in der Geschäftsführung noch nicht recht vorstellen. Trotzdem erkannte der damalige Generaldirektor Hellmuth Brustmann Gals Fähigkeiten als Leader. 2014 stieg er tatsächlich in die Geschäftsführung auf und wurde später infolge der Umwandlung in die Swietelsky AG zum Vorstand ernannt.

Herr Gal, Sie zählen im aktuellen Ranking des Industriemagazins zu den Top-1000-Managern Österreichs. Ist das Anerkennung oder Auftrag?

Ich würde sagen: weder noch. Persönliche Anerkennung beziehe ich nicht durch Medienpräsenz und mein beruflicher Auftrag kommt von den Eigentümern der Swietelsky AG sowie aus der Verantwortung unseren Mitarbeitern und deren Familien gegenüber. Wichtiger als Publicity ist mir das persönliche Netzwerk in der Branche. Ich denke, da sind wir als Unternehmen gut aufgestellt. Auch was die Bauleistung betrifft, zählen wir zu den Top-3-Unternehmen des Landes und sind europaweit führend im Bahnbau. Unsere Großmaschinen sind am europäischen Kontinent, im Vereinigten Königreich und sogar in Australien im Einsatz. Überall ist unsere Kompetenz in der Anwendung von leistungsfähigen Maschinen zu Instandhaltung und Neubau von Gleisen, aber auch zur Errichtung damit verbundener Infrastruktur gefragt. Das ist die Anerkennung, die ich mag.

Demnächst werden Sie den Bahnhof und die Infrastruktur von Rail Baltica am Flughafen der lettischen Hauptstadt Riga errichten. Das Auftragsvolumen von etwa 240 Millionen Euro ist beachtlich.

Ja, das ist tatsächlich eine Herausforderung, wobei der Auftrag in seiner Dimension nicht allzu ungewöhnlich für uns ist. Denken Sie zum Beispiel an die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm, die wir errichten, oder an andere Aufträge, die wir in Osteuropa erfolgreich bearbeitet haben. Das Baltikum ist für uns Neuland, obgleich wir über Mitarbeiter verfügen, die in diesem Markt erfahren sind. Wir trauen uns die Aufgabe mit starken lokalen Partnern in einer Arbeitsgemeinschaft zu, wo jeder vom anderen profitieren wird.

Was sind derzeit Ihre größten „Baustellen“?

In Baden-Württemberg bauen wir aktuell rund sechzig Kilometer Neubaustrecke, davon rund dreißig Kilometer in Tunneln. Das wird die Fahrzeit von Stuttgart nach Ulm von 54 auf 28 Minuten stark verkürzen und eine Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern ermöglichen. In Budapest errichten wir für die U-Bahn komplett neue Gleisanlagen über zwanzig Kilometer, installieren neue Signalanlagen, sanieren Tunnelröhren und erledigen die Materiallogistik über Gleise für die Sanierung von Stationsabschnitten der M3. In Tschechien haben wir 2020 den Auftrag für den Wiederaufbau des Abschnitts Velim–Poříčany über 146 Millionen Euro erhalten. In der Slowakei sanieren wir die Zahnradbahn Štrba–Štrbské Pleso mit einem Höhenunterschied von 422 Metern. Die Komplexität einer Aufgabe ist nicht immer allein am Auftragsvolumen zu bemessen.

Welche Rolle spielt der stark gestiegene Stahlpreis im (Eisen-)Bahnbau?

Glücklicherweise aktuell eine geringe. Schienen werden oftmals vom Auftraggeber beigestellt, der meist langfristige Rahmenvereinbarungen mit den Lieferanten trifft. Wenn wir selbst auch die Materiallieferungen verantworten, versuchen wir schon seit geraumer Zeit, die Lieferkonditionen für die gesamte Projektdauer bereits in der Ausschreibungsphase mit den Lieferanten zu vereinbaren. Bei unseren Maschinen und Fahrzeugen merken wir den Preisschub und natürlich treffen uns hohe Stahlpreise auch in unseren Generalunternehmerprojekten, wo wir neben den Gleisbauarbeiten auch andere Aufgaben übernehmen. Vielleicht ein blaues Auge, aber nicht mehr.

„Unsere Experten beherrschen die modernsten Technologien“, haben Sie bei der Vertragsunterzeichnung in Riga gemeint. Was ist am Eisenbahnbau modern?

Es gibt wohl keine Bausparte, die sich dank Technologie in den letzten Jahrzehnten so stark mechanisiert hat wie der Bahnbau. Unsere Gleisbaumaschinen sind hochkomplexe mobile Fabriken, die nur von geschultem und erfahrenem Personal bedient werden können. Der Gipfel der Entwicklung ist die aus einer Entwicklungspartnerschaft zwischen SWIETELSKY und Plasser & Theurer entstandene RUS 1000 S. Sie kombiniert mehrere ansonsten getrennt voneinander auszuführende Arbeitsschritte in einer Maschine. Bereits der Vorgänger RU 800 S hat in den vierzehn Jahren seit Inbetriebnahme mehr als 2000 Kilometer Gleise in ganz Europa saniert. Die neue Generation ist in jeder Hinsicht deutlich leistungsfähiger. Damit können wir Kosten und vor allem die für die Infrastrukturbetreiber so wichtige Sperrzeit von Gleisen weiter reduzieren, ohne bei der Qualität oder bei der Sicherheit des Bahnbetriebs zu sparen. Davon abgesehen verfügt SWIETELSKY in Fischamend über den größten und vielfältigsten Stützpunkt für Bahnbaumaschinen in Europa. So können wir alle Anforderungen von europäischen Kunden hocheffizient abdecken und sind international wettbewerbsfähig.

Die Bahn setzt sich beim Reisekomfort, bei der Gesamtreisedauer und natürlich beim Klimaschutz immer öfter gegen das Flugzeug durch. Wie schlägt sich das in Ihren Forecasts nieder?

So, dass ich optimistisch in die Zukunft sehe, und zwar wirtschaftlich und ökologisch. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten Bahnstrecken abseits der großen Transportkorridore eher zurückgebaut wurden, befinden wir uns derzeit in einer Phase des Umdenkens. Es gibt mehr Initiativen zum Ausbau der Bahn, auch abseits der großen Magistralen.

In Österreich sind derzeit gleich drei Mega-Eisenbahnprojekte in Bau: Semmering-, Koralm- und Brennerbasistunnel. Wie werden sie die Position der Eisenbahn im Personen- und Warenverkehr beeinflussen?

Österreich hat ein natürliches Problem: die Topografie. Durch dazumal unglaubliche Ingenieursleistungen haben wir es geschafft, die Gebirge in und um Österreich mit der Bahn zu überwinden. Für die heutigen Transportvolumina sind diese Strecken mit ihren enormen Steigungen und engen Bögen nur bedingt geeignet. Damit verliert die Bahn auf diesen Strecken ihren Zeit- und Kostenvorteil. Die neuen Tunnelstrecken werden einen wertvollen Beitrag leisten, um Terrain für die Bahn zurückzugewinnen. Der Brennerbasistunnel kann allerdings erst seinen Nutzen entfalten, wenn auch die internationalen Zulaufstrecken entsprechend ausgebaut sind. Deutschland ist hier säumig.

Wie sehen Sie die Kritik an allen drei Projekten?

Teilweise berechtigt, man muss aber den Gesamtkontext betrachten. Budgets für diese Projekte wurden oft viele Jahre vor Baubeginn erstellt. Durch Preissteigerungen sowie langwierige Genehmigungsverfahren und daraus resultierende Auflagen werden sie noch zusätzlich teurer. Ja, auch der Flächenverbrauch, die Effekte auf Grund- und Bergwasser und auch die Störung der natürlichen Habitate sind negativ. Aber wollen wir weiterhin den Straßen(güter)verkehr mit all seinen negativen Umwelteinflüssen fördern? Man kann das Klima nicht retten, wenn man nicht auch im Umweltschutz Kompromisse eingeht.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Verbesserungen, damit sich das Transportmittel Zug nachhaltig durchsetzt?

Erstens leistungsfähige Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Ballungszentren und gute Anbindungen ins Umland. Abseits der Westbahnstrecke sieht es diesbezüglich in Österreich noch etwas düster aus. Die Südbahnstrecke wird von Semmering- und Koralmtunnel klar profitieren. Zweitens: Ohne eine deutliche Verteuerung der Alternativen wird es auch nicht funktionieren. Da ist die Bequemlichkeit mit Blick auf das Umsteigen im Weg. Drittens brauchen wir mehr Europa im Bahnverkehr. Ein Zug, der die Strecke von Andalusien nach Skandinavien bewältigen soll, wird x-mal angehalten, weil die Lokführer an Landesgrenzen getauscht werden müssen und weil Lokomotiven ausgewechselt werden müssen, die entweder mit dem Strom- oder dem Sicherungssystem über der Grenze nicht zurechtkommen oder schlicht in einem anderen Staat keine Zulassung bekommen. Nationale Systeme verteuern das System Bahn unnötig. Hier müssten auf europäischer Ebene endlich die Weichen in Richtung Interoperabilität gestellt werden.

  Peter  Schöndorfer

Redaktion

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