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Arbeitsplatz: Corona baut das Büro um

19.10.2020, Lesezeit 5 Minuten
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Wie sieht der moderne Büroarbeitsplatz nach Corona aus? Und welche Trends tun sich in der Arbeitsplatzgestaltung in Bürogebäuden auf?

Büros, wie wir sie vor Corona kannten, sind Geschichte. Was sich schon in den Jahren zuvor abzeichnete, erlebt nun einen regelrechten Schub: Neue Formen der Zusammenarbeit werden gefunden. Wer kann, tauscht das Büro gegen die heimischen vier Wände. Digital wird aufgerüstet, Videocams waren aufgrund der großen Nachfrage sogar einige Zeit vergriffen. Was vorher in vielen Betrieben völlig undenkbar war, erfuhr mit dem Shutdown den berühmten Sprung ins kalte Wasser. Das Homeoffice ist plötzlich kein modernes Werkzeug vereinzelter EPU, sondern hat eine rasante Trendwende quer durch die heimische Wirtschaft vollzogen. Übrig bleibt die Diskussion, ob Büroflächen überhaupt noch zeitgemäß sind. Wie könnte also das Büro der Zukunft aussehen?

Das moderne Großraumbüro mit seinen offenen Flächen, dem Blickkontakt über die gesamte Etage und der Flexibilität in Sachen Raumnutzung könnte bald ausgedient haben. Denn die barrierefreie Kommunikation gilt nun als klarer Nachteil – lediglich Plexiglas dürfte dem Einhalt gebieten. Das Miteinander erfordert ein Umdenken, auch bei Büroarchitekten und Möbelfirmen. Kehrt die Arbeitswelt möglicherweise in die amerikanische Bürolandschaft der 1950ern zurück, als „Cubicles“, also kleine Büroabteile aus halbhohen und hauchdünnen Wänden, das Interior zahlreicher Firmen prägten? Führende Innenarchitekten gehen davon aus, dass Trennwände aus verschiedensten Materialien bald häufiger in Büros anzutreffen sein werden. Designer haben nun weltweit die Aufgabe, Schreibtische neu zu interpretieren. Dem Integrieren von Desinfektionsmittelspendern bis hin zu Luftfiltern sind keine Grenzen gesetzt. Selbst das Positionieren der Schreibtische wird nicht nur ein Möbelrücken mit sich bringen. Und auch wenn das papierlose Büro im Vormarsch ist, scheint eine Rückkehr zu großen Schreibtischen zugunsten des gebotenen Abstands vorhersehbar. Nun könnten auch Fenster, die sich tatsächlich öffnen lassen, wichtiger Bestandteil neuer Büropläne sein. Alles war bisher darauf ausgelegt, Grenzen zwischen den Teams abzubauen. Das wird es künftig wohl nicht mehr geben. Das gesamte Bürodesign steht vor einer Wende.

Das Arbeiten von überall bringt auch Herausforderungen mit sich. So verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Beruf, Familie und Freizeit. Wenn das Berufsleben im privaten Bereich stattfindet, verlieren die eigenen vier Wände ihre Funktion als Rückzugsort. Das Büro wird daher auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen – wenn es auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zugeschnitten wird. So kommt es, dass das Büro der Zukunft all das bieten muss, was das Homeoffice nicht leisten kann: Konzentration, Kommunikation und Kooperation. Viele Menschen sehnen sich nach der emotionalen Anonymität des Digitalen wieder nach der Intensität des menschlichen Kontakts, auch wenn sie sich nicht berühren. Die echte Anwesenheit spielt eine große Rolle. Insbesondere Shared Spaces bieten die Möglichkeit für diese Begegnungen. Hier ist nicht immer alles dem Terminkalender untergeordnet, sondern kann auch spontan passieren. Dies hat nicht nur Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter, sondern schafft auch Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl und damit die Voraussetzung für kreative Problemlösungen. Der Arbeitsplatz wird also als Ort neu gedacht. Wer das Büro nach diesen Aspekten gestaltet, schafft einen Ort mit hoher Erlebnis- und Aufenthaltsqualität. Und genau diese Qualität ist entscheidend, um auch in Zukunft als Anziehungspunkt zu fungieren.

Nicht die Quadratmeterzahl, sondern in erster Linie deren Qualität entscheidet über die Zukunftsfähigkeit von Büroflächen. Das Büro der Zukunft ist individuell, flexibel und ortsungebunden. „Das Büro wird sich wandeln vom schlichten Arbeitsort mit Pflichtaufenthalt hin zu einem Ort des persönlichen Kontakts, der menschlichen Nähe und zum Netzwerktreffpunkt des Austauschs der Mitarbeiter untereinander, mit Geschäftspartnern und Kunden“, so Martin Becker, Geschäftsführer der RBSGROUP in einem Interview für das deutsche Fachmagazin bba. Der Arbeitsplatz muss also komplett neu gedacht werden – und zwar in der Gesamtheit des Lebens zwischen Arbeitsplatz und Privatem.

 

INTERVIEW:

Zukunftsforscher Andreas Reiter

Andreas Reiter ist Referent und Keynote Speaker bei internationalen Kongressen und Tagungen sowie Lehrbeauftragter für Trendmanagement an der Donau- Universität Krems und am MCI in Innsbruck. Darüber hinaus ist er Mitglied von Fachkommissionen, z. B. des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Wie wirkt sich Corona auf unser Arbeitsverhalten aus?

Ein agiles, permanentes Sich-Überlappen von On- und Offline strukturiert unseren Alltag neu. Menschen arbeiten und konsumieren künftig viel situationselastischer, wechseln selbstverständlich zwischen analoger und physischer Welt. Diese Entwicklung hatte sich ja schon seit Jahren ihren Weg gebahnt, Corona zündete hier nun die nächste Rakete. Covid-19 wirkt zudem als massiver Verstärker des multilokalen Arbeitens und des Remote Work – in einer weltweiten Umfrage von KPMG (8/20) erklärten 69 % der Unternehmen, auch in Zukunft mehr Homeoffice einzusetzen und damit weniger Büroflächen zu benötigen (Immobilienexperten gehen hier von rund zehnprozentiger Schrumpfung aus). Dieses sich seit längerem abzeichnende Blended Living macht das Gewebe der Stadt durchlässig und fluide. Die Gesellschaft wird zunehmend ortlos – und braucht gerade deswegen starke, bedeutungsvolle Orte.

Welche Auswirkung hat das auf die Arbeitsplatzgestaltung?

Wenn Arbeit zunehmend ort- und zeitlos wird, dann verändert sich auch der Arbeitsort. Die Arbeit zieht ebenso ein in unsere Freizeit wie auch umgekehrt. Arbeit wird decodiert und in einer kreativen Wissensgesellschaft mit spielerischen (Freizeit-)Elementen aufgeladen.

Wie kann man sich das Büro der Zukunft also vorstellen?

Hybride Workspaces entstehen, kreative Mischformen zwischen Büros und Freizeitparks, Klosterzelle und Espressobar – smarte Technologien sind dabei immer (unsichtbar) eingebettet. Eine intelligente Umwelt korrespondiert mit der individuellen Arbeitssituation des Users. So passt sich z. B. der Smart Desk dem jeweiligen User-Profil an, reguliert entsprechend die Tischhöhe oder gleicht die empfohlene Sitzdauer mit Gesundheitsdaten ab. Büros sind – mit ihren kollaborativen, temporären Raumkonzepten – Spielräume für Kommunikation, kreativen Austausch, gemeinsames Lernen, um die Transformation wirksam zu gestalten. All dies spiegelt sich im Interior Design und in flexiblen Raumszenarien, in einer Balance zwischen Räumen des Austauschs und des konzentrierten Rückzugs. Büros der Zukunft sind in erster Linie gespeicherte Unternehmensenergie, atmosphärisch Hotellounges und Clubs ähnlich. Ein derartiges Wohlfühlambiente ist, neben der flexiblen, multilokalen Arbeitsgestaltung (mal hier, mal dort), auch eine Grundbedingung für Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitgeberattraktivität.

Welche Bedeutung nehmen Büros damit ein?

Arbeitsorte spiegeln immer die DNA eines Unternehmens, seinen Spirit. Die „Logik des Besonderen“ (A. Reckwitz) erfasst naturgemäß auch die Orte der Produktivität, bestimmt das Place Making. Büros sind Dritte Orte, hybride Werkstätten, die Identität stiften, die Identifikation mit dem Unternehmen stärken und die Kreativität der Mitarbeiter fördern sollen. Denn diese ist das kostbarste unternehmerische Gut und die wichtigste Kulturtechnik der disruptiven Digitalmoderne. Die Herausforderung für Unternehmen liegt darin, sich an stetig verändernde Mindsets anzupassen. So haben etwa die Generationen Y und Z andere Anspruchshaltungen gegenüber Unternehmen und eine andere Vorstellung von Arbeit. Von attraktiven Unternehmenskulturen erwarten sich die jungen (Post-)Millennials insbesondere Sinnerfüllung, individualisierte Arbeitsmodelle, persönliche Weiterentwicklung. Work Hard – Play Hard war gestern. Work Smart ist morgen.

Post-Covid: Was lernen wir aus der Coronazeit?

Wir werden durch Corona als Arbeitsgesellschaft stärker herausfiltern, was wir wirklich brauchen und was nicht. Was uns resilient macht, krisenrobust.

 Mag. (FH) Isabella  Schöndorfer

Redaktion

Mag. (FH) Isabella Schöndorfer

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